Obenstehende Abbildung zeigt eine Drehscheibe aus Petrus Apianus' Werk: Astronomicon Caesareum aus dem Jahre 1540
Bücher sind nicht gleich Bücher. Wenn sich zwischen den herkömmlichen Buch- seiten bewegliche Elemente verstecken, so haben wir es nicht immer mit den Errungenschaften der letzten Jahrzehnte zu tun, die sich etwas neues einfallen lassen wollen, um der wachsenden multimedialen Welt Überraschendes und Außergewöhnliches zwischen zwei Buchdeckeln entgegenzusetzen. Nein! Die Geschichte der Bücher mit beweglichen Elementen - oder einfach 'PopUp- Bücher', wie sich ihr Name auch im deutschsprachigen Raum mittlerweile durchgesetzt hat - ist keine neue Erfindung unserer Tage. Sie beginnt bereits im Mittelalter. Vielleicht als Mittel der besseren Veranschaulichung von Zusammenhängen oder auch des spielerischen Umgangs mit Information und der eingängigeren, vereinfachten Präsentation komplexer Zusammenhänge wurden solche Gestaltungsmittel erstmals eingesetzt, um beipielsweise mit Hilfe von Drehscheiben die komplexe Kalenderdatenberechnung zu vereinfachen. Das war besonders wichtig bei der Berechnung des genauen Zeitpunktes der Festtage im christlichen Jahreskalender, findet doch das Osterfest stets nach dem ersten Vollmond nach Frühlings- anfang statt. So sind bereits seit dem Mittelalter zahlreiche Handschriften überliefert, die mit Hilfe sogenannter 'Volvellen' (Drehscheiben) meist astronomische, aber auch philosophische Zusammenhänge veranschaulichen konnten.
Die Geschichte der beweglichen Elemente in Büchern ist in den folgenden Jahrhunderten eng verknüpft mit der Erfindung und Weiter- entwicklung der Druckkunst und der Papierverarbeitung, durch die ein Material gefunden wurde, das günstiger war als Pergament und leichter zu bearbeiten und zu bedrucken war. Beschreibungen und spezielle Erläuterungen von unterschiedlichste Beispielen für bewegliche Elemente in Büchern sollen auf diesen Seiten helfen, diese Zusammenhänge ausführlich darzustellen und zu illustrieren.
Ausgerechnet die Erfindung der Lithographietechniken seit Anfang des 19. Jahrhunderts stellt eine idealtypische Voraussetzung dar für die günstige Herstellung von bunt gedruckten Bildtafeln, aus denen sich bald - dank der ausgefallenen Papiertechnik - Buchkunstwerke entwickeln konnten, die die mittelalterlichen Drehscheiben an Ausgefallenheit und Raffinesse in Gestaltung und Verwendung schnell in den Schatten stellen konnten. Lothar Meggendorfer (1847-1925) z. B. ist hier der unumstrittene Protagonist dieser papierenen Buchklunstwerke. Seine Bücher mit ihren berühmten Zieh- und Drehelementen sind in Nachdrucken bis heute erhältlich und nach wie vor grenzenlos beliebt. Einige von ihnen werden weiter unten auf diesen Seiten ausführlich vorgestellt und beschrieben und vorgestellt.
Das Bild links zeigt Lothar Meggendorfer im Jahre 1889 (Quelle: Wikipedia)
Meggendorffer hat als einer der ersten PopUp-Künstler der Geschichte die beweglichen Elemente im Buch zu einer außergewöhn- lichen Perfektion entwickelt. Der Faszination seiner Bücher - "nur für brave Kinder" - konnte sich bereits damals kaum jemand entziehen, wenn sich auch zur damaligen Zeit bei weitem nicht jede Familie diese Druckwerke mit Bewegung leisten konnte. Und doch erzielten seine Bücher höchste Auflagen und sind bis heute im Esslinger-Verlag als Originalnachdrucke immernoch beliebt und nach wie vor lieferbar.
In Lothar Meggendorffers Aufstellbilderbuch 'Im zoologischen Garten' gibt es z.B. für junge wie alte Zoobesucher am Spieltisch viel zu sehen und die wilden Tiere bewegen sich hinter den Gittern, die sich dreidiemensional ausklappen lassen - ein faszinierendes Klappbilderbuch mit vielen Anrgungen für Geschichten und Abenteuer.
Einer der herausragendsten neueren Buchkünstler mit unverwechselbaren Ideen für bewegliche Elemente war der aus Wien gebürtige Vojtech Kubašta (1914-1992). Er hat nicht nur zahlreiche PopUps creiert, sondern sie wurden auch in insgesamt 24 verschiednene Sprachen übersetzt und weltweit in über 35 Millionen Stück verkauft. Sein künstlerischer Stil ist bei heute einzigartig und viele seiner PopUp-Creationen erzielen heute bei Sammlern Höchstpreise. Im Gegensatz zu den heute von den amerikanischen PopUp-Künstlern Robert Sabuda oder Mathew Reinhardt betriebenen Stil der ausgefallenen 3D-Techniken, die die Papier-Ingenieure mittlerweile auch mit Hilfe von Computern generieren, funktionieren die PopUp-Bücher von Kubašta mit sehr einfachen technischen Mitteln und bergen fast immer neue und überraschende Bildmotoriken, bei denen es immer wieder Spaß macht, sie in Bewegung zu setzen.
Vojtech Kubašta: Reise zum Mond. Mit beweglichen Bildern. Prag: Artia 1986 Sonderausgabe Gondrom, 1989
Vorstellung von Mondreisen, wie sie aus der Perspektive der Weltraum-Euphorie der 50er und 60er Jahre im sowjetisch-geprägten Mittel- und Osteuropa vorherrschten, herrlich gezeichnet und gestaltet
Mit diesem PopUp von Vojtech Kubašta ist es eine Lust, zum Mond zu reisen. Jenseits vom Wettlauf der Blockstaaten, wer den besseren Zugang zum Universum hat, leben in Kubaštas Bildumsetzung nochmals die euphorischen Weltraumphantasien auf, die seit Jules Verne mit der Hündin Laika oder Jurij Gagarin und schließlich mit den Apollo-Missionen zum Mond Wirklichkeit wurden. Die Technik ist schön und hat keine störenden Nebenwirkungen. Die Bilder atmen den Optimismus technikbegeisterter Jugendlicher der Nachkriegszeit, die sich weniger um Rüstungswettläufe im All bemühen, als vielmehr die Aufforderungen ernst verstehen: "Fliegen Sie mit uns zum Mond."
Bücher mit beweglichen Elementen der aktuellen Gegenwart sind eine eigene Spezies von Buchkunstwerken, die sich mit ihrer dreidimensionalen Vielfalt zwischen Internet und anderen multimedialen Angeboten als besondere Zwischenform behaupten und sich während der letzten Jahre einer wachsender Beliebtheit erfreuen. Nicht umsonst haben außer den zahlreichen englischsprachigen Verlagen in Europa und Nordamerika mehr und mehr auch Verlage in deutschsprachigen Gegenden und Frankreich Popup-Bücher im Programm. Ziel dieses Internet-Angebotes soll es unter anderem sein, Einblicke in diese faszinierenden Welten der Bücher mit beweglichen Elementen zu geben und zu hoffen, daß die Begeisterung des Initiators dieser Seiten auch auf viele andere überspringt.